Alexis Sorbas by Nikos Kazantzakis

Alexis Sorbas by Nikos Kazantzakis

Autor:Nikos Kazantzakis [Kazantzakis, Nikos]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Herbig
veröffentlicht: 1982-04-02T22:00:00+00:00


XIV

Sonnabend, Spätnachmittag, erster März. Ich hatte mich an einen Felsen gelehnt, vor mir die weite Fläche des Meeres, und schrieb. Ich hatte heute die erste Schwalbe gesehen und war fröhlich. Die Austreibung Buddhas ergoß sich ungehindert auf das Papier, das Ringen mit ihm hatte sich gemäßigt, ich lebte nicht mehr unter Druck. Ich war der Befreiung gewiß.

Plötzlich war mir, als hörte ich Schritte auf dem Kies.

Ich blickte auf und sah unsere alte Sirene. Sie kam, geschmückt wie eine Fregatte, aufgeplustert, erhitzt und keuchend den Strand entlang. Sie sah erregt aus.

»Hat er geschrieben?« rief sie mit bebender Stimme.

»Er hat geschrieben«, sagte ich lachend und erhob mich, sie zu empfangen. »Er läßt dich grüßen. Er denkt Tag und Nacht an dich. Er kann weder essen noch schlafen, wie er mir schreibt, er kann die Trennung von dir nicht ertragen.«

»Nichts weiter?«

Ich bedauerte sie, zog den Brief aus meiner Tasche und tat so, als ob ich las. Die alte Schachtel öffnete ihren zahnlosen Mund, blinzelte mit den kleinen Augen und hörte mit fliegendem Atem zu. Ich tat so, als ob ich selbst durcheinandergeraten war und die Schrift nur mühsam entziffern konnte: »Gestern besuchte ich eine Gaststätte, um dort Mittag zu essen. Ich hatte Hunger. Plötzlich kreuzt ein bildschönes Mädchen auf, eine wahre Göttin. Du liebe Güte! Wie sie meiner Bubulina ähnelte! Sofort flossen meine Augen wie Springbrunnen über, mein Hals war wie zugeschnürt, ich brachte nichts mehr herunter. Ich stand auf, zahlte und verließ das Lokal. Und ich, der sich so wenig um die Heiligen kümmert, lief schnurstracks in die Minas-Kirche und weihte dem Heiligen eine Kerze. Lieber heiliger Minas, betete ich, laß mich von meinem geliebten Engel bald gute Nachrichten hören. Laß sich recht bald unsere Flügel wieder vereinen!«

»Hihihi!« kicherte Madame Hortense, und ihr Gesicht strahlte vor Freude.

»Warum lachst du, meine Liebe?« fragte ich und hielt inne, um Atem zu schöpfen und mir neue Schwindeleien auszudenken. »Warum lachst du? Mir kommen die Tränen.«

»Ja, wenn du wüßtest... wenn du wüßtest...«, gluckste sie.

»Was denn?«

»Das mit den Flügeln... so nennt nämlich der Teufelskerl die Beine. Natürlich wenn wir allein sind. Daß sich unsere Flügel wieder vereinen, sagt er... hihihihi!«

»Höre weiter, und du wirst staunen...«

Ich blätterte die Seite um und tat wieder so, als ob ich läse: »Heute ging ich an einem Frisiersalon vorbei. Gerade goß der Barbier das Becken mit dem Seifenwasser auf die Straße. Die ganze Straße begann zu duften. Ich dachte wieder an meine Bubulina und weinte von neuem. Ich will nicht länger von ihr getrennt sein. Ich werde noch verrückt. Höre und staune! Ich mache sogar Verse. Vorgestern, als ich nicht einschlafen konnte, setzte ich mich hin und reimte ihr ein kleines Gedicht zusammen. Bitte, lies es ihr vor, damit sie sieht, was ich leide:

Böte sich ein Weg doch an uns beiden,

Breit genug für unsre vielen Leiden!

Würd' mein Fleisch man von den Knochen trennen,

Würden meine Knochen zu dir rennen!«

Madame Hortense hörte ergriffen und glücklich mit halbgeschlossenen Augen zu. Sie nahm sogar das gelbe Band vom Hals, weil es sie strangulierte, und gab den Falten die Freiheit zurück.



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